„Landwirtschaft ist Treiber der Transformation und kein Bremser“
24.03.2023
Parlamentarischer Abend des Genossenschaftsverbands Weser-Ems: Intensive Diskussion über die Auswirkungen des Strukturwandels auf die Agrar- und Ernährungswirtschaft im Nordwesten und die Gestaltung des Wandels. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Hannover / Weser-Ems – Die Region Weser-Ems ist im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft eines der Aushängeschilder Niedersachsens. Auch dank einer starken genossenschaftlichen Struktur mit mehr als 300 Unternehmen, die rund 18.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, tragen sie in hohem Maß zur Wertschöpfung und zum Wohlstand im Land bei, sagte Johannes Freundlieb, Verbandsdirektor des Genossenschaftsverbandes Weser-Ems (GVWE), in dieser Woche auf dem Parlamentarischen Abend der Ländlichen Genossenschaften in Hannover. Doch diese Erfolgsgaranten und damit die „wichtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Säulen unserer regionalen Wirtschaft sind durch den massiven Strukturwandel akut bedroht“. Freundlieb forderte ein schnelles Handeln der Politik mit dem Bekenntnis zu einer regional hochwertigen Landwirtschaft. Ansonsten würden tausende Jobs in Niedersachsen verloren gehen und ins Ausland abwandern.
Genossenschaften wichtig
Auch der Landtagsvizepräsident Jens Nacke (CDU) aus dem Ammerland betonte in seinem Grußwort, dass das Thema Agrarwirtschaft in der Landespolitik einen hohen Stellenwert einnehme. Für den notwendigen Wandel seien stets persönliche Einsicht und persönlicher Mut notwendig und ein gemeinschaftliches Vorgehen, das mehr bewegen könne als es der einzelne vermag. „Gerade aus diesen Gründen sind Genossenschaften, die genau diese Werte verkörpern, wichtiger denn je für unser Land“, sagte Nacke. Anschließend erlebten rund 100 Gäste aus Landespolitik, Verwaltung und Wirtschaft eine intensive Podiumsdiskussion zum Thema „Landwirtschaft in der Transformation – Chancen und Potenziale für eine zukunftsfähige Agrar- und Ernährungsbranche“.
Mit in der Runde vertreten waren neben Verbandsdirektor Freundlieb der Abteilungsleiter im Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Dr. Cord Stoyke, der CDU-Landesvorsitzende Sebastian Lechner, Hermann Mammen, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Raiffeisenwarengenossenschaft Ammerland-OstFriesland eG (RWG), und Dr. Klaus Hein, Geschäftsführer der Molkereigenossenschaft DMK eG. Als Einführung stellte die Moderatorin Dr. Barbara Grabkowsky, die an der Universität Vechta den Verbund Transformationsforschung agrar Niedersachsen leitet, die Ergebnisse der TRAIN-Studie (Transformationsszenarien der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Nord-West-Niedersachsen) vor. Danach wird der Strukturwandel mit hohem Tempo voranschreiten.
Transformation: Landwirte nicht allein lassen´
Die Studie skizziert drei Szenarien, wonach bis 2030 im Bereich der Agrar-, Ernährungs- und Futtermittelwirtschaft von erheblichen Umsatzrückgängen und Beschäftigungsverlusten im Nordwesten auszugehen ist. Im schlimmsten Fall würden mehr als 23.000 Jobs wegfallen und es sei mit Umsatzrückgängen von 30 bis 50 Prozent in Weser-Ems zu rechnen. Das sei eine fehlende Wertschöpfung im Milliardenvolumen pro Jahr. Das werde die gesamte Region spüren vom Handwerk über Handel, Dienstleistung und Industrie bis hin zu Kultur, Sport und Wissenschaft. „Die Transformation der Landwirtschaft war und ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und wir dürfen die Landwirte damit nicht allein lassen“, betonte Dr. Grabkoswky.
Region am Scheideweg
Verbandsdirektor Freundlieb sprach von einem Scheideweg, an dem die Region und das Land stünden: „Wollen wir weiterhin auf eine nachhaltige Lebensmittelproduktion aus Deutschland setzen und unsere Wertschöpfungskette, tausende Arbeitsplätze und den erfolgreichen Wirtschaftsstandort erhalten? Oder wollen wir die Verantwortung in andere Länder auslagern? Dies auch mit der Konsequenz, dass wir uns bei der Versorgungssicherheit abhängig machen von Importen aus anderen Ländern mit oft viel geringeren Standards in der Lebensmittelproduktion zum Preis des Verlusts von Jobs, Know-how, Wohlstand und Wirtschaftskraft.“ Die Landwirtschaft müsse Teil der Lösung der Probleme sein und nicht als deren Ursache betrachtet werden. Gerade die genossenschaftlichen Unternehmen bekennen sich zu einem ökologisch, sozial und ethisch nachhaltigen Wirtschaften. „Die Landwirtschaft und insbesondere die genossenschaftlichen Unternehmen sind Ideengeber und Treiber der Transformation und keine Bremser“, sagte Freundlieb.
Er forderte klare Rahmenbedingungen unter anderem in der Tierhaltung mit einer durchgängigen und praxisgerechten Kennzeichnung auf allen Stufen der Fleischerzeugung und -verarbeitung, eine ausgeweitete Haltungskennzeichnung für ausländische Produkte, ein wirtschaftlich tragfähiges Finanzierungs- und Förderungskonzept und die Einbindung etablierter Systeme der Wirtschaft. Er forderte von der Politik, sich nicht nur auf Bio als alleinige Lösung zu fokussieren, sondern auch in der Breite qualitativ hochwertige Tierhaltung in einem deutlich höheren Maß zu fördern und die Betriebe in dem Transformationsprozess nicht allein zu lassen. Dazu zähle eine stärkere Berücksichtigung der Förderung der Haltungsstufe 2 „Stall+Platz“.
Land will Alternativen für Tierhalter fördern
Dr. Stoyke skizzierte die Pläne des Niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. Dabei gehe es nicht um eine Wiederbelebung der Tierhaltung. Insbesondere die Schweinehaltung müsse sich bewusst machen, dass die Zahl der Tiere aufgrund der sich wandelnden Markt- und Konsumgewohnheiten weiter abnehmen werden. Ziel sei es deshalb, den betroffenen Landwirten durch verschiedene Förderprogramme wirtschaftliche Alternativen aufzuzeigen und zu ermöglichen. Zudem solle die Umstellung der Betriebe finanziell gefördert und die regionale Vermarktung gestärkt werden. Der CDU-Landesvorsitzende Sebastian Lechner hält die Pläne der rot-grünen Landesregierung für durchaus sinnvoll. Förderung sei lobenswert, wenn sie an der richtigen Stelle ankomme. „Im Gegensatz dazu wollen wir als CDU die Tierhaltung in Niedersachsen aber nicht abbauen, sondern vor allem erhalten und stärken“, sagte Lechner und kritisierte, dass für die geplanten Förderprogramme bislang „kein Cent“ im laufenden Haushalt eingeplant sei.
Reduktion von Pflanzenschutzmitteln: Ehrgeizige Ziele erreichbar
RWG-Vorstand Hermann Mammen betonte, dass Ländliche Genossenschaften ihren Landwirten bereits heute verschiedene Lösungen anböten, um die Artenvielfalt zu erhalten, die Böden zu schonen und nachhaltiger zu wirtschaften. Dazu gehörten moderne Maschinen ebenso wie punktgenau eingesetzte Pflanzenschutz- und Düngemittel sowie Unterstützung bei der Digitalisierung. So sei das in der Niedersächsischen Pflanzenschutzmittel-Reduktionsstrategie vereinbarte Ziel, die Anwendung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 um mindestens 25 Prozent zu reduzieren, ehrgeizig, aber erreichbar. Dazu müssten aber entsprechende Innovationen stärker unterstützt und ermöglicht werden. „Die Landwirte sind Teil der Lösung und nicht das Problem“, betonte Mammen. Dazu biete die Forschung und Wissenschaft wichtige Fortschritte wie das Carbon-Farming oder die Entwicklung von Satelliten- und Sensorsystemen, die die Ausbringung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln optimieren würden. Auch müssten Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel mit geringem Risiko für den Naturhaushalt beschleunigt werden ebenso wie der rechtliche Rahmen für eine praxistaugliche Nutzung neuer Züchtungsmethoden geschaffen werden müsse.
Milchwirtschaft minmiert C02-Ausstoß
Der DMK-Geschäftsführer Dr. Hein verwies auf die großen Anstrengungen, um den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (C02) in der Produktion und Verarbeitung von Milch zu reduzieren. Klimaschutz habe höchste Priorität. Bereits heute sei der C02-Fußabdruck in der Milchproduktion der DMK im Branchenvergleich gering. Dennoch arbeite die genossenschaftliche Molkereigenossenschaft zusammen mit ihren Landwirten an einer weiteren Minimierung der Emissionen. Dazu würde in neueste Technik in den Werken investiert werden und es seien neue Wege auf den Höfen eingeschlagen worden. So könnten die DMK-Landwirte bereits heute mittels eines Agrarklimachecks diesbezügliche Verbesserungspotenziale identifizieren. Im Rahmen des Projekts „DMK Net Zero Farms“ würden zudem weiteren Maßnahmen auf den landwirtschaftlichen Betrieben zur C02-Reduzierung getestet.
Hinsichtlich der Pläne der EU und des Bundes zur Wiedervernässung der Moore als einer der zentralen Klimaschutzprojekte betonte Dr. Klein, dass dies ein gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Die Landwirte dürften die Last nicht allein tragen müssen. Vor allem benötigten die Höfe eine langfristige Planungssicherheit und damit klare Entscheidungen. Allein in Niedersachsen als moorreiches Flächenland sind nach Angaben des Grünlandzentrums Niedersachsen-Bremen rund 200.000 Hektar Grünland betroffen, auf denen künftig keine Milchkühe mehr grasen könnten. Dies wäre der Fall, wenn die aktuellen Pläne von Bund und EU umgesetzt würden. Diese sehen vor, den Wasserstand in den Moorgebieten so zu erhöhen, dass dort keine Tiere mehr auf den Weiden stehen könnten. Rund 280.000 Tiere oder ein Drittel des Milchkuhbestands in Niedersachsen würde wegfallen. Damit ginge auch der Verlust von 3.700 bis 6.700 Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft in Niedersachsen einher. Hinzukämen 30.000 bis 54.000 Jobs in den vor- und nachgelagerten Bereichen, die auf dem Spiel stünden.