Interview mit BVR-Präsident Uwe Fröhlich
03.08.2015
Der Wirtschaftsjournalist Dieter W. Heumann sprach mit Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, über aktuelle wirtschaftspolitische Themen.
Herr Fröhlich, Griechenland erhält weitere Milliardenhilfen - wenn das Land ein strenges Reformprogramm umsetzt. Ein guter Kompromiss?
Was den Zusammenhalt der Eurozone betrifft und sicherlich auch aus griechischer Sicht ist das eine richtige Entscheidung. Es bleibt allerdings fraglich, ob das dritte Hilfspaket ausreichen wird, um das Land auf den Weg einer nachhaltigen wirtschaftlichen Besserung zu führen.
Man spricht bereits von einem vierten Hilfsprogramm für Griechenland
Ja, und einige Volkswirte mahnen bereits, die Einigung als Transferzahlung – also als Geschenk, nicht aber als Kredit – zu deklarieren. Laut dem deutschem Finanzminister geht es eigentlich nicht ohne Schuldenschnitt.Da die Europäischen Verträge dies aber verbieten, rät er, über einen vorübergehenden Austritt Griechenlands aus der Eurozone nachzudenken.
Fraglich ist zudem, ob die Griechen diesmal umsetzen, was sie wiederholt gelobt haben, nämlich zu reformieren und umzustrukturieren. Außerdem: wird es gelingen, genügend Wachstumskräfte zu mobilisieren? In den kommenden drei Jahren werden wir sehen, wie erfolgreich die getroffene Entscheidung wirklich war.
In all den Turbulenzen um Griechenland ist eine wichtige Nachricht untergegangen: Der deutsche „Ausschuss für Finanzstabilität“ mahnte: viel problematischer als das Thema Griechenland seien die niedrigen Zinsen, die die Menschen vermehrt in Immobilien treiben und in den deutschen Ballungsgebieten die Immobilienpreise bereits galoppieren lassen.
Es wird die Gefahr gesehen, dass sich die Interessenten bei den hohen Preisen bei der Finanzierung übernehmen.
Der Finanzstabilitätsrat befürchtet zu Recht die Bildung von Vermögensblasen hierzulande. Das gilt neben dem Immobilien- auch für den Aktienmarkt. Die Frage ist, ob der Dax-Stand - angesichts der Ertragserwartungen der Unternehmen - noch gerechtfertigt ist. Auch die Frage der hohen Fremdfinanzierung von Unternehmensübernahmen gewinnt wieder an Aktualität.
Die Niedrigzinspolitik birgt mit Sicherheit Gefahren für die Finanzstabilität - insbesondere für die Vermögenssituation vieler privater Haushalte.
Werden die Kreditinstitute bereits vorsichtiger bei der Vergabe von Immobilienkrediten?
Die Banken gehen mit dieser Situation besonnen um. Bei Immobilienfinanzierungen geht man nicht vom dauerhaften Fortbestand derzeitiger Konditionen aus. Es wird darauf geachtet, dass bei der Kapitaldienstfähigkeit der Kreditnehmer auch potentielle Zinserhöhungen in 10 oder 15 Jahren bewältigt werden können.
Ferner sollten Freiräume, die durch die niedrigen Zinsen entstehen, für erhöhte Tilgungen genutzt werden. Bei der Bewertung der Sicherheiten sind zumindest die Genossenschaftsbanken zurückhaltender als manche Makler. Die Banken sind sensibilisiert und wissen: ein Objekt sollte im Rahmen einer geordneten Tilgung während der Zeit der aktiven beruflichen Tätigkeit bezahlt werden können.
Leidtragende der niedrigen Zinsen sind die Sparer. Aber ihnen fehlt ein Anwalt. Sind hier nicht die Kreditinstitute gefordert, schließlich leiden auch sie unter der Niedrigzinspolitik?
Wir müssen derzeit ernüchtert feststellen, dass die Sorgen um den Zusammenhalt der Eurozone und Europas sowie die Schuldentragfähigkeit der Euro-Staaten - bei der EZB aber auch beim Finanzminister - höher gewichtet werden, als der private Altersversorgungsanspruch der Bürger jener Länder, die wirtschaftlich noch stabil und stark sind.
Das ist ärgerlich und wir mahnen laufend an, dass dies keine dauerhafte Sichtweise sein darf. Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken kritisieren offen die von der EZB betriebene Geldpolitik. Letztlich entscheidet aber der EZB-Präsident und der hat bisher immer gute Argumente und stets die notwendigen Mehrheiten für seine Maßnahmen gefunden.
Weil der Zentralbankrat südländisch dominiert ist.
Die EZB muss zumindest Sorge tragen, dass nicht irgendwann der Eindruck entsteht, dass die Mittelmeeranrainerländer gegenüber den zahlenden nordischen Staaten in der Eurozone bevorzugt werden.
Wie macht sich die bereits Jahre andauernde Niedrigzinsphase auf der Einlagenseite der Genossenschaftsbanken bemerkbar. Gibt es noch Zuwächse bei den Einlagen und wird noch in ausreichendem Maße langfristig angelegt?
Erfreulich ist, dass die Sparer - trotz niedrigster Zinsen – ihre Konten bei den Genossenschaftsbanken immer noch in reichem Maße füllen. Im vergangenen Jahr haben unsere Einlagen um 20 Mrd. Euro auf 713 Mrd. Euro zugelegt. Diese positive Entwicklung setzt sich im laufenden Jahr fort. Sie spiegelt vor allem das Vertrauen der Anleger zu den Genossenschaftsbanken wider, denn in Zeiten niedrigster Zinsen und europäischer Turbulenzen zählt Sicherheit vermehrt.
Braucht es aus Sicht der Genossenschaftsbanken dann noch ein länderübergreifendes Institutssicherungssystem, wie es die europäische Politik plant?
Natürlich nicht - wir wehren uns aktiv gegen eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherungssysteme in Europa. Wir treten für unser bewährtes bankengruppeninternes Institutssicherungssystem und für die deutsche Einlagensicherung ein.Es ist quasi eine zusätzliche Versicherung für jeden Anleger hierzulande, wenn er weiß, die privaten Banken, die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken sind der Garant dafür, dass die Einlagen in Deutschland stabil sind.
Eine Transferunion, wie einige in Europa sie andenken, lehnen wir entschieden ab.
Die Einlagen entwickeln sich bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken erstaunlich gut. Aber wird in ausreichendem Maße auch langfristig angelegt?
Seit Jahren erleben wir, dass der Sparer - angesichts der niedrigen Zinsen – nicht mehr bereit ist, sein Geld auch langfristig anzulegen. Wir versuchen mit Anlage-Alternativen – im Fonds- und im Wertpapierbereich – gegenzusteuern und den Anleger davor zu bewahren, dass er - angesichts der niedrigen Zinsen - einen realen Vermögensverlust erleidet.
Der Kunde hat natürlich Angst, bei einem Umsteuern der Geldpolitik „auf dem falschen Fuß“ erwischt zu werden?
Richtig, und das Gleiche gilt natürlich auch für die Banken. Kurzfristige Einlagen werden häufig langfristig wieder als Kredite herausgelegt. Das kann zu Zinsänderungsrisiken auch auf Bankenseite führen. Sie werden in unserer Bankengruppe sauber ausgesteuert – unter anderem durch entsprechende Zinsswaps. Aber niemand kann genau vorhersagen, wann die Zinswende eintritt.
Könnte sie nicht eher eintreten, als erwartet, schließlich erholt sich die Konjunktur im Euroland insgesamt und ab Herbst werden Leitzinserhöhungen in den USA erwartet?
Ja, die konjunkturelle Erholung und die niedrige Inflation müssten die EZB bewegen, zu marktgerechten Zinsen zurückzukehren. In den USA spricht man seit einiger Zeit von Leitzinsanhebungen, aber man hat bisher nicht gewagt, dies auch umzusetzen.
Letztlich mahnen konjunkturelle Sorgen einerseits und die Schuldentragfähigkeit einzelner Länder andererseits, die Geldpolitik zur Vorsicht, – das gilt besonders für Europa.
Und wie entwickelt sich das Kreditgeschäft der Genossenschaftsbanken insgesamt?
Das Kreditgeschäft unserer gesamten Bankengruppe hat im letzten Jahr um 3,4 Prozent zugelegt. Dabei liegen wir weit über der für 2014 ausgewiesenen Stagnation der Ausleihungen aller deutschen Banken. Getragen wird unser Kreditgeschäft vom gewerblichen Mittelstand und Privatkunden. Es steht also stabil auf mehreren Beinen.
Gelegentliche Klagen, die Banken seien nur schwer zu bewegen, langfristige Kredit zu vergeben, können wir nicht bestätigen. 80 Prozent der Ausleihungen unserer Banken sind langfristiger Art.
Rege ist die Nachfrage nach Immobilienkrediten. Gilt das auch für Ausrüstungsinvestitionskredite?
Unsere mittelständischen Kunden investieren auch in Ausrüstungen. Aber es stimmt: In Deutschland wird zu wenig investiert. Das betrifft vor allem den Staat. Die öffentlichen Haushalte leiden – insbesondere auf Ebene der Gemeinden - unter engen Finanzierungsspielräumen.
Und die Unternehmen?
Die Investitionsfreudigkeit der Unternehmen ist getrübt. Dazu hat auch die Politik beigetragen: In den letzten eineinhalb Jahren standen vor allem soziale Wohltaten aus dem Koalitionsvertrag im Vordergrund. Das hat die Investitionstätigkeit der Unternehmen eher belastet.
Staat und Unternehmen müssen ihre Investitionstätigkeit steigern, denn auch hierzulande leben wir zum Teil bereits von der Substanz. Allerdings wendet sich die Bundesregierung dem Thema jetzt stärker zu. Aber es muss noch mehr getan werden, denn schließlich schaffen öffentlich Investitionen auch Aufträge für die Unternehmen und steigern deren Investitionstätigkeit.
Die Banken fühlen sich besonders von den Regulierungen der Politik und Bankenaufsicht unter Druck gesetzt. Das Bundesfinanzministerium hat jüngst die Regulierungsmaßnahmen im Finanzmarkt überprüft und einen Bericht dazu erstellt.
Der BVR hat stets bemängelt, dass es an einer ganzheitlichen Betrachtung der Regulierungsmaßnahmen fehle. Ist das nun ausreichend berücksichtigt?
Nein, es ist ein offenes Geheimnis, dass unsere Bankengruppe überproportional von Regulierung betroffen ist, obwohl die Volksbanken und Raiffeisenbanken als regional operierende Banken nichts zur jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise beigetragen haben. Im Gegenteil, sie haben das deutsche Bankensystem stabilisiert.
Wir müssen als dezentrale Bankengruppe - anders als ein Bankkonzern - in jedem unserer 1.047 Institute die Regulierungsmaßnahmen einzeln umsetzen. Es fehlt nach wie vor eine ganzheitliche Betrachtung der Folgen.
Im Ergebnis wird eine kleinere oder mittelgroße Bank überproportional von diesen Regeln betroffen. Die zahlreichen Beauftragten z.B., die mittlerweile vom Kreditgewebe vorgehalten werden müssen, überfordern gerade die kleineren und mittelgroßen Häuser.
Der BVR erstellt derzeit aber eine eigene Untersuchung zu der Thematik?
Ja, mit Unterstützung zweier Professoren der Goethe-Universität Frankfurt erstellen wir derzeit eine Bestandsaufnahme, die zeigen wird, wie die Belastungen aus der Regulatorik für unsere Bankengruppe genau aussehen.
EU-Bankenkommissar Hill strebt eine Kapitalmarktunion an
Ja , mit dem Ziel, Alternativen zur Bankkreditfinanzierung für mittelständische Unternehmen in Europa zu eröffnen. Wir sind mit Herrn Hill im Gespräch. Man muss die kleinen und mittleren Bankinstitute von einer Vielzahl regulatorischer Maßnahmen befreien, um ihre Leistungsfähigkeit auf der Kreditvergabeseite zu verbessern.
Es muss gelingen, aus der Kapitalmarktunion eine echte Mittelstandsoffensive zu formen.
In den USA unterliegen nur große, international tätige Bankinstitute den regulatorischen Vorschlägen des Baseler Ausschusses. Warum geht das in Europa nicht?
Wir weisen immer wieder auf die Praxis in den USA hin und würden es begrüßen, wenn nur die systemrelevanten - durch die EZB beaufsichtigten - Institute von der Vielzahl der Regeln aus Brüssel und London betroffen wären.
Aber die EZB hat einen anderen Aufsichtsansatz gewählt, wobei sie von den europäischen Regierungen unterstützt wird. Dieser Ansatz lässt keine Ausnahmen zu. Zwar werden die nicht systemrelevanten Institute - dazu gehören u.a. die Genossenschaftsbanken – von der nationalen Bankenaufsicht betreut. Aber das geschieht im Rahmen eines Regelwerkes, welches die EZB definiert – mit der Folge, dass es automatisch schwierig und komplex wird. An dieser Stelle muss dringend nachgebessert werden.
Am meisten stöhnen die Genossenschaftsbanken unter dem mit der Regulatorik verbundenen umfangreichen Meldewesen. Gibt es Zahlen, die die Kosten verdeutlichen?
Es lässt sich zumindest sagen, dass die Personalkosteneinsparungen, die durch eine höhere Effizienz auf der Marktfolgeseite erzielt wurden, in Mitarbeiterkapazitäten im Umfeld des Meldewesens, der Regulatorik und der Banksteuerung reinvestiert werden mussten. In unserer Bankengruppe sind die Verwaltungskosten im vergangenen Jahr - trotz strikter Kostenkontrolle in allen Häusern - um 2,5 Prozent angestiegen.
Es ist schon bemerkenswert: Da werden Banken in ihrem Kerngeschäftsmodell kräftig mit Kosten aus regulativen Maßnahmen belastet, und anschließend denkt man in Brüssel darüber nach, ob man die in einzelnen Regionen Europas nicht mehr leistungsfähigen Banken nicht besser durch eine Kapitalmarktunion ersetzen sollte.
Ließe sich das kostenaufwendige Meldewesen im genossenschaftlichen Bankenverbund nicht zentral bearbeiten?
Wir sind derzeit in einem verbundweiten Großprojekt mit der Rechenzentrale dabei, das Meldewesen weitgehend zu automatisieren. Dabei werden nicht nur die derzeitigen Meldeanforderungen berücksichtigt sondern auch die bevorstehende Erweiterungen.
Werden die Bankkunden allgemein mit höheren Bankkosten zu rechnen haben – oder mit welchen Maßnahmen steuern die Genossenschaftsbanken den höheren Kosten im Wesentlichen entgegen?
Zunächst - die Genossenschaftsbanken haben derzeit eine sehr auskömmliche Ertragslage. Im vergangenen Jahr hat die genossenschaftliche Bankengruppe ein außerordentlich positives Ergebnis in Höhe von 10,7 Mrd. Euro vor Steuern erzielt. Dennoch stellen wir unser Geschäftsmodell - angesichts sich verändernden Kundenverhaltens, demografischer Entwicklungen und der anhaltenden Niedrigzinspolitik der EZB - kritisch auf den Prüfstand.
Viele Volksbanken und Raiffeisenbanken überprüfen derzeit gezielt ihr Filialnetz, ohne sich aus der Fläche zurückziehen zu wollen. Klein- und Kleinstfilialen sind hierbei primär im Fokus. Wir verfügten Ende 2014 über 12.770 Bankstellen. Jede Genossenschaftsbank entscheidet selbstverständlich für sich, aber ich rechne in den nächsten drei bis fünf Jahren mit einem 10 bis 20%igen Rückgang der Bankstellen.
Im Zeitalter der Digitalisierung des Bankgeschäfts braucht es auch immer weniger Bankstellen. Die Kunden gehen zunehmend online.
Wir investieren kräftig in die digitalen Zugangswege zur Bank und entwickeln unsere Vertriebskanäle weiter, um den optimierten stationären Vertrieb stärker mit der digitalen Welt zu verzahnen. Bankstelle, Internet und Mobile Computing können so miteinander korrespondieren.
Am Ende laufen alle Fäden beim Kundenberater zusammen, denn schließlich muss er über die Aktivitäten des Kunden umfänglich informiert sein, um effizient beraten zu können.
Und wie sieht es auf der Zahlungsverkehrsseite aus?
In Punkto „Bezahlen im Internet“ ist die gesamte deutsche Kreditwirtschaft in einem Großprojekt namens PayDirekt gemeinsam unterwegs und wird im November des Jahres mit einer sehr leistungsfähigen, marktgängigen Lösung an die Öffentlichkeit treten. Damit präsentieren wir eine starke Alternative zu PayPal und anderen Anbietern.
Auf dem Gebiet des kontaktlosen Bezahlens beginnen wir im Spätsommer zusammen mit EDEKA Hessen und anderen Einzelhändlern im Großraum Kassel mit einem Pilotprojekt. Drei regionale Genossenschaftsbanken werden das Projekt begleiten. Was Handy-Betreiber nicht hinbekommen – das kontaktlose Bezahlen an der Kasse – wollen wir mit Hilfe unserer VR-Bankcard erreichen.
Welche weiteren Folgen löst der Zwang zu Kosteneinsparungen aus?
Natürlich gilt nach wie vor: Alles, was effizienter auf der Marktfolgeseite getan werden kann, muss angepackt und umgesetzt werden.
Und eine größere Fusionswelle unter den Genossenschaftsbanken wird es nicht geben?
Wir haben in den letzten Jahren jeweils 20 bis 30 Fusionen verzeichnet. 2015 dürfte die Fusionstätigkeit mit 30 bis 40 Zusammenlegungen leicht zunehmen. Aber man muss kritisch hinterfragen: Werden der Niedrigzins und die regulatorischen Auflagen des Gesetzgebers und der Bankenaufsicht nicht eine ungewollte strukturelle Veränderung der Bankenlandschaft in Deutschland fördern?
Darüber müssen auch Politik und Bankenaufsicht intensiv nachdenken. Wir tun bezüglich der Belastungen durch Regulatorik zusammen mit unserer Rechenzentrale und den Verbänden alles, um unsere Institute so zu unterstützen - damit auch kleine und mittelgroße Volksbanken und Raiffeisenbanken überleben können.
Aber es wird für alle schwieriger, das muss deutlich gesagt werden.