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"Nur was wir messen können, können wir auch verbessern"

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 08/2024

Die Milchlabor Weser-Ems eG in Leer analysiert jährlich mehr als sechs Millionen Pro-ben. Die Ergebnisse sind für die Land- und Milchwirtschaft sowie für die Zuchtverbän-de entscheidend, um Leistung, Genetik, Tierwohl und Nachhaltigkeit zu optimieren. Die Ostfriesen sind dabei in bundesweiten Projekten eingebunden. Die Analysemög-lichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren dynamisch weiterentwickelt.

Roboterarme wirbeln hinter Glasscheiben in computergenerierter Genauigkeit und mit immer gleichen, abgehakt flinken Bewegungen. Sie greifen mehrere aufgereihte handgroße Probenflaschen aus Kunststoff, schütteln diese und stellen sie auf das schmale Transportband, das sie weiter zu den Sensoren der Analysestraße befördert. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich unsere Arbeit extrem dynamisch verändert“, sagt Claudia Eichhorn. Sie ist die Technische Leiterin der Milchlabor Weser-Ems eG. Das, was früher per Hand sortiert werden musste, wird heute dank der Automatisierung von Maschinen in nahezu fehlerloser Exaktheit erledigt. So werden im Schnitt rund 25.000 Milchproben täglich in Leer im Rahmen der Milchleistungsprüfung (MLP) und der Milchgüteuntersuchung analysiert – in der Spitze sind es zuweilen mehr als 30.000 Fläschchen, die in den fünf Analysenstraßen abgearbeitet werden.

„Wir sind deutlich gewachsen und haben unsere jährliche Leistung in den vergangenen gut zehn Jahren von vier auf mehr als sechs Millionen Analysen gesteigert“, erklärt Dr. Ernst Bohlsen, Geschäftsführer des Landeskontrollverband Weser-Ems (LKV) und des dort angesiedelten Milchlabors Weser-Ems. Dies hänge unter anderem mit den Molkereien in Weser-Ems zusammen, deren verarbeitete Milchmenge gestiegen sei und die ihr Einzugsgebiet vergrößert hätten. Damit ist der LKV ein wichtiger Arbeitgeber in Leer mit mehr als 80 Beschäftigten. Dazu kommen noch rund 230 Leistungsprüferinnen und -prüfer, die auf den Höfen in Weser-Ems die Milchproben nehmen.

Rund 600.000 Kilometer fahren die Probentransporter des Milchlabors jährlich, um die MLP-Proben von den rund 100 Sammelstellen abzuholen, damit diese zügig untersucht werden können. Zusätzlich werden an sechs Tagen in der Woche 13 Molkereistandorte angefahren. Dort werden die mit einem individuellen QR-Code versehenen Proben im Rahmen der Milchgüteprüfung abgeholt. Der logistische Aufwand ist hoch. Das gilt für die realen Straßen als auch für die IT-Datenautobahnen, die vom Milchlabor Weser-Ems genutzt werden.

Für rund 3.100 Betriebe in Weser-Ems, die etwa 356.000 Milchkühe halten, wird einmal im Monat eine Milchkontrolle und damit automatisch auch ein Gesundheitscheck durchgeführt. Damit sind etwa 90 Prozent der Betriebe an der MLP beteiligt. Rund 4,5 Millionen Proben werden in Leer so jährlich auf die Inhaltsstoffe Fett, Eiweiß, Lactose, Harnstoff und Zellzahl untersucht. Zusätzlich werden aus rund 1,5 Millionen Proben im Rahmen der Milchgüteuntersuchung darüber hinaus die Keimzahl und Hemmstoffe (Antibiotikarückstände) ermittelt. Die Milchgüte untersucht das Milchlabor dabei über die Grenzen von Weser-Ems hinaus für insgesamt rund 6.000 Betriebe in Niedersachen und in angrenzenden Regionen.

Neue Dimensionen in der Milchanalyse
Die Landwirtinnen und Landwirte erhalten dadurch wichtige Daten und Informationen zur Leistung, zum Zustand und zur Gesundheit ihrer Tiere sowie über die Inhaltsstoffe der Milch. Diese sind wichtig unter anderem für die Genetik und Zucht, die Leistungskontrolle und das Herdenmanagement der Betriebe sowie für die Tiergesundheit. Die neue Computertechnologie hat in den vergangenen Jahren dabei neue Dimensionen in der Milchanalyse eröffnet und die Digitalisierung der Branche weiter vorangetrieben. Zwar ist die Spektralanalyse bereits seit vielen Jahren die Grundlage für die Untersuchung der Inhaltsstoffe. Doch lange waren die Rechnerleistungen ein limitierender Faktor, um die umfängliche Möglichkeiten dieser wissenschaftlichen Untersuchungsmethode auch tatsächlich nutzen zu können. „Wir können heute viel weitergehende Daten und Erkenntnisse aus den Milchproben gewinnen, da die riesigen Datenmengen für moderne Rechner kein Problem mehr darstellen“, erklärt Dr. Ernst Bohlsen. Seit kann beispielsweise seit einigen Monaten der Blut-BHB-Gehalt für den Ketose-Check auf Basis der Spektraldaten gemessen werden. Im Bereich der Methanmessung liegen ebenfalls erste Erkenntnisse vor.

Portfolio kontinuierlich erweitern
Das Milchlabor Weser-Ems erweitere sein Portfolio kontinuierlich, erläutert Johann Bartels, stellvertretener LKV-Geschäftsführer und kaufmännischer Leiter des Milchlabors: „Dabei stehen vor allem die Bedürfnisse der Auftraggeber im Fokus.“ Aber auch die Marktentwicklung hält den Druck hoch. So liefern Melkroboter auf den Höfen heute ebenfalls Daten über die Inhaltsstoffe der Milch. „Wir müssen uns weiterentwickeln, um unsere Mitglieder von unseren Leistungen und Vorteilen zu überzeugen“, sagt Johann Bartels. Das sei Ansporn für das gesamte Team.

So haben die Leeraner zusammen mit verschiedenen bundesweiten Partnern unter anderem an der Entwicklung des „Q Check“ gearbeitet. Dahinter verbirgt sich eine transparente Darstellung des Tierwohls anhand von 18 festgelegten Parametern zur Euter- und Stoffwechselgesundheit sowie zu Tierverlusten. Dieser hat sich als bundesweiter Standard und damit als nationales Monitoringsystem etabliert. Dazu werden Daten von mehr als 30.000 Milchviehbetrieben vom Bodensee bis zur Nordsee aus vier bestehenden unterschiedlichen Analysesystemen vernetzt und ausgewertet. Das Monitoring ermöglicht heute eine bundesweite Vergleichbarkeit und liefert den Landwirtinnen und -wirten wichtige Erkenntnisse zu ihrer Betriebsoptimierung. „Denn je besser die Tiergesundheit, desto besser auch die Leistung“, erklärt Johann Bartels.    

Ketose-Check und Methan-Messung
Ein neu entwickeltes Angebot ist zudem der Ketose-Check. Ketose ist eine Stoffwechselerkrankung, die bei Milchkühen häufig nach der Kalbung auftritt. „Entsprechende Analysen sind für die landwirtschaftlichen Betriebe somit hilfreich, um vorbeugend eingreifen und damit die Krankheit und Leistungseinbußen vermeiden zu können“, so Dr. Ernst Bohlsen. Aber auch die Methan-Emissionen sollen künftig über die Milch ermittelt und durch entsprechendes Futtermanagement verringert werden. Dazu war der LKV Weser-Ems an dem vom Bund geförderten Projekt „ReMissionDairy“ beteiligt. Die bereits gewonnenen Erkenntnisse sollen durch ein Folgeprojekt validiert werden, um damit die Methan-Messung über die Milch verlässlich zu machen. „Der weitergehende Projektantrag läuft bereits“, so Dr. Ernst Bohlsen. Dazu werde der LKV Weser-Ems auch mehrere „Green-Feeder“ anschaffen, die bei den beteiligten Höfen im Stall den Methan-Ausstoß in der Atemluft der Rinder messen können.

Der CO2-Fussabdruck spielt in der Milchproduktion und vor allem in der öffentlichen Diskussion um eine nachhaltige Landwirtschaft eine zunehmend wichtiger werdende Rolle. Deshalb seien verlässliche Informationen zum Methanausstoß und deren Einflussfaktoren bedeutend. Das liege im Interesse der gesamten Branche; vor allem die Molkereien würden das Thema stark vorantreiben. Dabei ist die Fütterung eine wesentliche Stellschraube, um die Methanemissionen der Kühe weiter zu minimieren. „Aber natürlich ist auch die Milchleistung entscheidend, denn je mehr Milch eine Kuh produziert, desto geringer fällt der Methananteil pro Kilogramm Milch aus“, sagt Dr. Ernst Bohlsen.

Moderne Laboreinrichtung
Zur Weiterentwicklung des Portfolios ist auch die Laboreinrichtung entscheidend. Das genossenschaftliche Milchlabor in Leer verfügt über eine nachhaltige Energieversorgung, eine eigene Wasseraufbereitung und ist mit modernster Analysetechnik ausgestattet, die teilweise zusammen mit den Herstellern passgenau entwickelt wurde. So ermöglichen die automatisierten Roboteranlagen an den „Analysestraßen“ eine Ausschleusung von Milchproben. „Einzelne Milchproben können gezielt aus der normalen Untersuchung herausgeschleust werden und auf bestimmte Parameter gesondert untersucht werden“, erklärt Johann Bartels. Somit sei keine Unterbrechung der Abläufe mehr nötig. Gleichzeitig seien die Analysen dadurch sehr flexibel durchführbar. Die Anlage sei zusammen mit der LuWe Solutions in Zetel entwickelt worden und werde heute in mehreren Laboren eingesetzt. Laborleiterin Claudia Eichhorn betont, dass sämtliche Abläufe und Ergebnisse dokumentiert werden: „Die Dokumentation und auch die Qualitätssicherung im Labor nehmen heute einen großen Teil der Zeit in Anspruch.“  

Grünlandregion braucht Milchanalysen
Die Entwicklung in der Landwirtschaft bleibt von einer hohen Dynamik geprägt. Um die Zukunft machen sich die Führungskräfte zwar viele Gedanken, aber wenig Sorgen. Zum einen sei das Team sehr leistungsfähig, und zum anderen „hat der Nordwesten als klassische Grünlandregion trotz der geplanten Wiedervernässung von Mooren und des Strukturwandels eine gute Perspektive“, sagt Dr. Ernst Bohlsen: „Hier werden weiterhin Milchkühe eine entscheidende Rolle in der Landwirtschaft spielen.“ Bereits in den vergangenen Jahren habe sich die Milchviehwirtschaft in anderen Bundesländern deutlich stärker zurückentwickelt als in Niedersachsen.

Dabei ist der Geschäftsführer bestrebt, die landesweite Vernetzung der drei LKV-Standorte und der Milchlabore weiter voranzutreiben: „Wir müssen noch mehr niedersachsenweit denken und die Zusammenarbeit ausbauen.“ Jeder LKV-Standort sei wichtig; es gebe aber Ansatzpunkte, um Synergieeffekte zu erzielen. Insbesondere die Verarbeitung der ungeheuren Datenmengen und deren Vernetzung aus unterschiedlichen Systemen sei eine große Herausforderung in der Landwirtschaft. Darin liegt für den Geschäftsführer eine große Aufgabe der Landeskontrollverbände, die nur gemeinsam gemeistert werden könne. Daten und deren Vernetzung, so Dr. Ernst Bohlsen, seien für die Landwirtschaft Gold wert: „Nur was wir messen können, können wir auch verbessern.“ In einer digitalisierten Welt werde immer mehr messbar und auch die Analysemöglichkeiten der Milch seien sicherlich noch längst nicht ausgeschöpft.