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Mehr Wachstum braucht auch eine Haltungswende

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 09/2024

Die Konjunktur in Deutschland lahmt. Die Prognosen lassen wenig Gutes erahnen. Auf der Suche nach wirtschaftlichen Lichtblicken gibt Weser-Ems bei allen Herausforderungen aber Anlass zur Hoffnung. Die Genossenschaftsbanken sind gut aufgestellt und die starke mittelständische Wirtschaft erweist sich als krisenfest. Dazu braucht es in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aber auch ein Umdenken: Vertrauen statt Missgunst, Miteinander statt Gegeneinander ist gefragt.

Die jüngsten Konjunkturprognosen für Deutschland sehen die Wirtschaft bestenfalls stagnieren. Die Deutsche Bundesbank berichtet im August unter der Überschrift „Deutsche Wirtschaft tritt auf der Stelle“ von einer leicht rückläufigen Wirtschaftsleistung im 2. Quartal 2024. Drastischer formulierte das „Handelsblatt“ Mitte August: „Alles deutet auf eine tiefere Rezession hin.“ Steigende Insolvenzzahlen, ein anhaltender Anstieg der Reallöhne, hohe Energiepreise, Inflationsdruck, Auftragslücken in nahezu allen Branchen, rückläufige Exporte, verschlechterte Einschätzungen der Unternehmen zur aktuellen und zukünftigen wirtschaftlichen Lage und einige Parameter mehr – die Faktenlage scheint wenig hoffnungsvoll.

Alle führenden Wirtschaftsforschungsinstitute von Ifo über das ZEW-Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung bis hin zum Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) malen ein düsteres Konjunkturszenario. Zuletzt äußerte sich Ifo-Chef Clemens Fuest Ende August in der Wirtschaftspresse. Deutschland sei der „alte Mann“ Europas und eine nostalgische „Status-quo-Macht“, die eine schleichende Deindustrialisierung erlebe. Das Land brauche dringend eine Agenda 2030, Aufbruch statt Wahrung der Besitzstände sei notwendig. Doch gibt es auch Lichtblicke, fehlt einfach nur der nötige Optimismus, wie es zuweilen von den Regierenden zu hören ist? Und wie schlägt sich die Region Weser-Ems und das Land Niedersachsen? Wir versuchen, diese Fragen zu beleuchten, wohlwissend, dass alle Zahlen einen Interpretationsspielraum eröffnen.

Olaf Lies: Das Land braucht Zuversicht
Beginnen wir mit den Optimisten. Dazu gehört – berufs- und amtsbedingt - Olaf Lies. Der niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung ist sich der schwierigen konjunkturellen Lage bewusst. Der gebürtige Wilhelmshavener betonte bei verschiedenen Anlässen wie auch beim Parlamentarischen Abend der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Weser-Ems im Frühjahr in Hannover, dass man das Land bei allen Problemen nicht nur schlechtreden dürfe. Deutschland sei die weltweit drittgrößte Volkswirtschaft und kein Untergangskandidat. Das Land brauche mehr Zuversicht.

Bankbilanzen zeigen: Mittelstand ist krisenfest
Diese Zuversicht wird durch die jüngsten Zahlen der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Weser-Ems gestützt. Entgegen vielen anderen Branchen haben die genossenschaftlichen Kreditinstitute bei Einlagen und Krediten im laufenden Jahr mit Werten zwischen knapp einem bis gut zwei Prozentpunkten zwar moderate, aber durchaus beachtliche Zuwachsraten im ersten Halbjahr 2024 erzielt. Die Ertragslage kann mit gut 1 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme als gut bezeichnet werden. Für Frank Ostertag, Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Weser-Ems (AGVR) und Vorstand der Volksbank eG Oldenburg-Land Delmenhorst, zeugen diese Zahlen auch von einem starken und resilienten mittelständischen Unternehmertum in der Region. Dazu zählen nicht zuletzt auch die Ländlichen Genossenschaften in den Bereichen Landhandel, Viehvermarktung sowie der Obst- und Gemüseproduktion sowie der Milchverarbeitung als wichtiger Teil der Wertschöpfungskette im Agrarbereich.

Auch der Konjunkturbericht für das 2. Quartal 2024 der Landesarbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Niedersachsen bestätigt, dass das gesamte Kreditwesen und die Versicherungsbranche die Geschäftslage als gut bezeichnet. Somit sind die Voraussetzung gegeben, damit die mittelständische Wirtschaft in Niedersachsen sowie die privaten Haushalte weiterhin mit Krediten und Finanzdienstleistungen ausreichend versorgt werden. Dies ist angesichts der zukünftigen Herausforderungen dringend notwendig. Denn Digitalisierung, Energiewende, demografischer Wandel oder auch der ländliche Strukturwandel lassen sich nicht allein durch staatliche Gelder finanzieren, sondern benötigen auch viel Kapital von Investoren.

Spielraum des Bankensystem erhalten
Entscheidend wird in diesem Zusammenhang sein, dass die regulatorischen Auflagen durch die Bankenaufsicht und Gesetzgeber mit Augenmaß erfolgen und die Spielräume unserer Volksbanken und Raiffeisenbanken nicht überproportional einengen. Vor allem seitens der Europäischen Union drohen mit Überlegungen zu erhöhten Eigenkapitalauflagen oder der beabsichtigten Vergemeinschaftung der institutseigenen Sicherungssysteme perspektivisch Gefahren. Auch die Einführung eines digitalen Euros in seiner jetzigen Ausgestaltung würde die Finanzstabilität in Deutschland schwächen.          

Insolvenzzahlen Niedersachsen auf niedrigem Niveau
Die stark mittelständisch geprägte Wirtschaft in Weser-Ems zeigt sich insgesamt widerstandsfähig. Das spiegeln nicht nur die Bilanzen der Genossenschaftsbanken wider, die den Mittelstand maßgeblich als Finanzpartner begleiten. Zwar ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen laut dem Landesamt für Statistik Niedersachsen im ersten Halbjahr 2024 mit gut 900 Fällen um 35 Prozent im Vorjahresvergleich gestiegen. Doch das Niveau bewegt sich in der langfristigen Betrachtung auf einem niedrigen Niveau. Zudem zeigt die Zahl der 7.300 betroffenen Beschäftigten sowie die Forderungssumme von rund 1,45 Milliarden Euro, dass die wirtschaftlichen Gesamtauswirkungen der Unternehmensinsolvenzen gering sind. Vielmehr dürfte es sich um normale marktbereinigende Vorgänge handeln.     

IHK Niedersachsen: Sommermärchen bleibt aus
Zurück zum Konjunkturbericht der niedersächsischen IHKn, der insgesamt keinesfalls euphorisch ausfällt. So schreiben die Kammern von einem „ausbleibenden konjunkturellen Sommermärchen und einem wirtschaftlichen Stillstand“. Tatsächlich bewegt sich der IHK-Konjunkturklimaindex für Niedersachsen mit 85 Indexpunkten auf einem niedrigen Wert. Aber dieser entwickelt sich immerhin stabil mit einer mittelfristig leicht steigender Tendenz. Zudem erwartet mit der Industrie, der Bauindustrie, den Dienstleistungen und den unternehmensnahen Dienstleistungen danach die Mehrzahl der Branchen in Niedersachsen zukünftig eine bessere Geschäftslage, wenngleich die wirtschaftliche Dynamik gering ist. Alarmsignale senden allerdings der Einzel- und Großhandel, die von deutlich schlechter werdenden Geschäften ausgehen.  

Konjunktursignale in Niedersachsen schimmern orangefarben
Die konjunkturellen Signale für Niedersachsen stehen bei wohlwollender Betrachtung nicht auf rot, sondern schimmern zumindest ein wenig orangefarben. Der starke Mittelstand in Weser-Ems ist ein Pluspunkt, der gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten für steigende Einkommen gesorgt hat. So liegt das verfügbare Einkommen pro Kopf in Weser-Ems nach den letzten Zahlen des Statistischen Landesamts aus dem Jahr 2021 mit 22.694 Euro zwar immer noch unter dem Landesdurchschnitt von 23.375 Euro. Doch ist das Niveau in den vergangenen 20 Jahren um rund drei auf 97 Indexpunkte gestiegen. Berücksichtigt man zudem die deutlich höheren Preise für Wohnen in und nahe den niedersächsischen Ballungszentren, relativiert sich der Unterschied weiter.

Arbeitslosenquote in Weser-Ems gering
Auch bei der Arbeitslosenquote liegt Weser-Ems unter dem Landesdurchschnitt, die die Bundesagentur für Arbeit Ende Juli mit 6 Prozent ausweist. In weiten Teilen liegt die Quote zwischen Ems und Weser deutlich darunter. Nur die Städte Delmenhorst, Emden, Osnabrück und Wilhelmshaven weisen Werte zwischen 9,5 und 14 Prozent auf. Bedenklich für Niedersachsen insgesamt ist allerdings ein Rückgang der gemeldeten freien Stellen, der auf eine rückläufige wirtschaftliche Dynamik hindeutet.

Abhängigkeit von großen Arbeitgebern
Die Abhängigkeit von einigen großen Arbeitgebern in Weser-Ems ist trotz einer mittelständischen Wirtschaftsstruktur sicherlich vorhanden und ein nicht unkritischer Faktor. Die jüngste Rettung der Meyer-Werft in Papenburg mit dem geplanten Einstieg des Staates hat gezeigt, dass mit dem Schiffbau rund 20.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt verbunden sind. Würden diese wegfallen, käme es zu erheblichen wirtschaftlichen Einbrüchen im Emsland und den angrenzenden Gebieten. In ähnlichen Größenordnungen, die Bundeskanzler Olaf Scholz als „systemrelevant“ einstuft, bewegen sich die Abhängigkeiten in Emden mit dem dortigen VW-Werk sowie in Ansätzen auch in Aurich mit dem Windradanlagenbauer Enercon. Vor allem der Autobau mit dem Umstieg auf die E-Mobilität steht dabei vor großen Herausforderungen und strukturellen Veränderungen. Auf der anderen Seite könnte der Nordwesten zu den Gewinnern der Energiewende zählen. Neben dem Ausbau der Windkraft sind insgesamt milliardenschwere Investitionen in die Wasserstoffproduktion in Ostfriesland, Wilhelmshaven oder auch in der Wesermarsch geplant. 

Genossenschaftsverband: Haltungswende ist notwendig
Insgesamt zeigt sich Weser-Ems im Vergleich durch seine mittelständische Struktur krisenfester als viele andere Regionen. Natürlich kann sich die Region aber nicht von der allgemeinen wirtschaftlichen Flaute abkoppeln. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik die Rahmenbedingen endlich mit Vollgas auf Wachstum stellt. Das jüngste Wachstumschancengesetz geht nach Einschätzung vieler Experten in die richtige Richtung, reicht aber längst nicht aus. Aber eines ist auch klar. Die Politik allein wird es nicht richten können. „Es braucht in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch eine Haltungswende“, formuliert es unser Verbandsdirektor Johannes Freundlieb: „Mehr Miteinander und Vertrauen statt Gegeneinander und Misstrauen wären vorteilhaft für unseren Wohlstand.“