Klare Botschaften, Insektenmast, alternative Proteinquellen und ein kerngesunder Verband
veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 04/2025
Geschäftsführertagung Ländliche Genossenschaften: Rund 50 Teilnehmende erlebten eine interessante Themenmischung rund um Innovation, Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz sowie Daten und Fakten zu klassischen Bereichen Steuern, Recht, Qualifizierung und Personalarbeit. Der DRV-Hauptgeschäftsführer Jörg Migende war aus Berlin angereist und erläuterte die Positionierung und Arbeitsschwerpunkte des Deutschen Raiffeisenverbandes.

Klare Botschaften – damit will Jörg Migende den Deutschen Raiffeisenverband (DRV) noch deutlicher in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung positionieren. Die Stärke der Wertschöpfungskette der Agrar- und Ernährungswirtschaft sollte dabei im Fokus stehen, sagte der DRV-Hauptgeschäftsführer auf der zweitägigen Geschäftsführertagung vor Kurzem in unserer Genossenschaftsakademie Weser-Ems in Rastede: „Wir müssen die Marktbedeutung unserer Genossenschaften noch stärker herausstellen.“
Überzeugend stellte er die Rolle und Bedeutung des DRV als Interessenvertretung dar, die auch von den Mitgliedern in einer jüngsten Befragung als gut und wichtig erachtet wurde. Gleichzeitig betonte er, dass die Marke Raiffeisen wieder stärker und frischer in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit Eingang finden müsse. Ein entsprechendes Projekt sei bereits unter der Federführung des DRV zusammen mit den Regionalverbänden und Mitgliedsunternehmen begonnen worden. Insbesondere gelte es für den DRV, die große Marktbedeutung und die Systemrelevanz des Agrarsektor in der Öffentlichkeit sowie im politischen Raum herauszustellen.
„Holt die Praktiker mit ins Boot“
Von der Politik forderte Jörg Migende, der genossenschaftlichen Agrar- und Ernährungswirtschaft wieder mehr unternehmerischen Gestaltungsspielraum zu eröffnen und gleichzeitig Planungssicherheit zu geben. Zudem appellierte er an die politischen Entscheider vor allem im Bund, den DRV als Dachverband stärker in die politische Meinungsbildung einzubinden. Die Politik sollte die Fachkompetenz bei der Entwicklung von Gesetzen und Verordnungen nutzen. Dies sei nach Ansicht von vielen Wirtschaftsverbänden in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden. „Reden Sie mit uns. Holt die Praktiker mit ins Boot“, richtete der DRV-Hauptgeschäftsführer sein Angebot vor allem an die neue Bundesregierung.
Neben den Einblicken in die Arbeit und Überlegungen des DRV aus erster Hand erlebten die rund 50 Teilnehmenden auf der Geschäftsführertagung eine interessante Themenmischung. Diese war stark geprägt von Beiträgen rund um Innovation und Digitalisierung. Die Chancen der Künstlichen Intelligenz, Insektenmast in der Landwirtschaft, alternative Proteinquellen, Optimierung von logistischen Prozessen und einige weitere Themen sorgten für rege Nachfragen. Aber auch die klassischen Bereiche Wirtschaftsprüfung, Recht, Steuern und Personalmanagement kamen nicht zu kurz.
Genossenschaftsverband Weser-Ems gut aufgestellt
Unsere Verbandsdirektoren Johannes Freundlieb und Axel Schwengels berichteten über die wirtschaftliche Entwicklung des Genossenschaftsverbandes, der in den vergangenen Jahren ein kontinuierlich steigendes Umsatzwachstum verbucht habe. Im Geschäftsjahr 2024 gab es nach den vorläufigen Zahlen einen Umsatz von 19,3 Millionen Euro, was 6,5 Prozent über dem Vorjahr lag. Neben den verschiedenen Beratungsleistungen in den Bereichen Steuern, Recht und Unternehmensberatung war auch das Qualifizierungsangebot stark nachgefragt. So verzeichnete die Genossenschaftsakademie Weser-Ems einen Rekordumsatz. Mit einem positiven Betriebsergebnis von rund 116.000 Euro sei man sehr zufrieden.
Die Zahl der Mitarbeitenden sei stabil bei rund 200, ebenso wie die Zahl der Mitgliedsunternehmen mit 301. Zuversichtlich blicke man auf die Herausforderungen der Zukunft, die man als eigenständiger Verband mitglieder- und wachstumsorientiert angehen werde. „Wirtschaftlich sind wir kerngesund“, so Johannes Freundlieb. Im zweiten Halbjahr plant der Verbandsvorstand, mit den Mitgliedern über die Strategieausrichtung zu sprechen.
Ziel sei es, die genossenschaftlichen Mitgliedsunternehmen und die Region zu stärken. Für den großen Rückhalt bei den Mitgliedern sei man dankbar und wolle die Attraktivität weiter steigern. Dies gelte auch für die Rolle als Arbeitgeber. Gute Fachkräfte seien die Basis der Arbeit und des Erfolgs. Die Verbandsbeiträge und Dienstleistungsentgelte versuche man stabil zu halten. Aufgrund steigender Kosten seien Anpassungen aber nicht immer vermeidbar, wie zuletzt im Bereich der Steuerberatung.
EU entschärft Berichtspflichten
Bezüglich regulatorischer und bürokratischer Entlastungen gab es ausnahmsweise positive Nachrichten. Diese betreffen das Thema Nachhaltigkeit. Mit der sogenannten Omnibus-Verordnung konsolidiert die EU die Berichtspflichten in diesem Bereich. Dies betrifft die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und den Bereich der EU-Taxonomie. „Das ist eine deutliche bürokratische Entlastung und eine Reduzierung der Berichtspflichten um mindestens 25 Prozent“, betonte Axel Schwengels.
Dies bestätigten auch unser Prüfungsdienstleiter Torben Lange und unsere Verbandsprüferin Sintje Kampen-Frederichs. Die ursprünglich im „European Green Deal“ vorgesehene Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung hätte in den kommenden Jahren auch für eine Vielzahl ländlicher Genossenschaften gegolten. Dies werde aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr eintreten, so Torben Lange.
Insgesamt ist laut Axel Schwengels im Bereich Nachhaltigkeit „viel in Bewegung“. Neben der CSRD-Berichtspflicht nannte er auch die EU-Entwaldungsrichtlinie, die Ende 2025 in Kraft treten soll. Davon wären in der jetzigen Form nahezu alle ländlichen Genossenschaften und auch Landwirte betroffen. Es sei aber wahrscheinlich, dass es noch Anpassungen geben werde.
Nachhaltigkeit bleibt auf der Agenda
Zuvor hatte auch DRV-Hauptgeschäftsführer Jörg Migende berichtet, dass es höchstwahrscheinlich eine Relativierung des sogenannten Lieferkettengesetzes geben werde. Das Thema Nachhaltigkeit bleibe aber wichtig und weiterhin auf der politischen Agenda, betonte der DRV-Hauptgeschäftsführer ebenso wie unsere Verbandsdirektoren. Trotz einer Abkehr der USA von den Klima- und weiteren Nachhaltigkeitszielen werde Europa bei diesem Thema keine vollständige Trendwende vollziehen. Damit verbunden seien wirtschaftliche Chancen, die man nutzen sollte.
KI steigert Effizienz
Wirtschaftliche Chancen eröffnen sich auch durch die Anwendung von Künstlicher Intelligenz. Dazu lieferte Dr. Florian Remark, Strategion GmbH (Osnabrück/Saarbrücken), einige anschauliche Beispiele in seinem Vortrag „Datengetriebene Geschäftsmodelle, Automatisierung und KI-Use-Cases – Welche Möglichkeiten ergeben sich für ländliche Genossenschaften?“ So könnten bis zum Jahr 2030 bis zu 30 Prozent der Arbeitsstunden in bestimmten Segmenten eingespart werden. Die Einsatzbereiche seien vielfältig von reinen Textbots wie ChatGPT, die gesprochenen Anweisungen in E-Mails oder anderen Textnachrichten aufbereiten, bis hin zu sogenannten KI-Agenten, die Termine und Projekte organisieren und koordinieren oder auch ganze Prozessabläufe steuern. Laut einiger Studien seien erhebliche Effizienzsteigerungen möglich. Künftig werde es vor allem darum gehen, wie die menschliche Arbeit mit den KI-Agenten zusammenwachse.
Start-ups beschleunigen
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz spielt auch in der „Start-up-Szene“ eine wichtige Rolle. Davon berichtete Florian Stöhr von der Seedhouse Accelerator GmbH in Osnabrück, die Gründerinnen und Gründern in den Bereichen „Farm, Food und Digital“ berät. Er stellte insbesondere das „Startup-Ökosystem de:hub Agrifood Osnabrück-Hannover“ vor. Dieses vereint die Kompetenzen führender Partner in der Region: Neben Seedhouse sind RootCamp (Hannover), Agrotech Valley Forum (Osnabrück) und das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik (DIL, Quakenbrück) daran beteiligt. Gemeinsam verfolgen die Partner die Vision, innovative Lösungen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft schneller auf den Markt zu bringen und gleichzeitig die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Die Startup-Initiative Niedersachsens unterstützt diese Kooperation als zentraler Akteur für die Vernetzung und Förderung von Gründerinnen und Gründern im Land.
Insektenmast und alternative Proteinquellen
Um Geschäftsfelder der Zukunft drehten sich die Beiträge von Prof. Dr. Stefan Schillberg, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie in Frankfurt, sowie von Friederike Alfes, Teamleiterin bei der AGRAVIS Raiffeisen AG in Münster, die digital zugeschaltet wurden. Der Fraunhofer-Institutsleiter beleuchtete das dortige Leitprojekt „Future Proteins“. Proteine seien auf dem besten Weg, Mangelware in der globalen Nahrungsmittelversorgung zu werden. Durch extreme Wetterlagen als Ergebnis des Klimawandels sowie Belastungen von Böden und Gewässern durch den Einsatz von Pestiziden und Düngemittel könne dieser Mangel weiter ansteigen. Ein Lösungsansatz für diese Herausforderung liege in der Erschließung neuartiger Proteinquellen als nachhaltige und massentaugliche Alternative zu tierischen Nahrungsmitteln. Im Leitprojekt »FutureProteins« entwickeln sechs Fraunhofer-Institute neue Anbausysteme und Prozesse, mit denen nährstoffreiche Proteine aus ausgewählten Pflanzen, Insekten, Pilzen und Algen gewonnen und für neue Produkte genutzt werden können.
Geschlossene Agrarsysteme
Diese kombinieren die Herstellung alternativer Proteinquellen in geschlossenen Agrarsystemen mit einer integrierten Nutzung aller Nebenströme zur Herstellung weiterer Proteinrohstoffe. Die alternativen Proteinquellen (Kartoffeln, Weizengras, Luzerne, Insekten filamentöse Pilze sowie Mikroalgen) enthalten allesamt ein für die menschliche Ernährung hochwertiges Aminosäureprofil sowie gute Anwendungseigenschaften, wodurch sie für die Lebensmittelindustrie sehr attraktiv sind. Im Mittelpunkt des Leitprojekts stehen vier geschlossene Anbausysteme: Vertical Farming für Pflanzen, Insect Farming für Insekten, Bioreaktoren für Pilze sowie Photobioreaktoren für Algen, wie Prof. Stefan Schillberg erläuterte. Diese ermöglichen eine ganzjährige Proteinverfügbarkeit und arbeiten im Vergleich zu herkömmlichen Anbausystemen ressourcenschonend, benötigen beispielweise weniger Wasser und Dünger und keine Pestizide. Diese Verfahren gelte es weiter zu optimieren, um „Future Proteins“ wettbewerbsfähig zu machen.
Die Schwarze Soldatenfliege
Daran arbeitet auch Friederike Alfes in dem AGRAVIS-Projekt „Flying Farming: Insektenmast in der Landwirtschaft“. Die Insektenmast habe das Potenzial, sich als zusätzliches Standbein für Landwirte zu etablieren, da sie eine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Proteinquellen wie Soja oder Fischmehl biete. Aus den Larven der Schwarzen Soldatenfliege ließen sich wertvolle Proteine und Öle für Tierfutter und Lebensmittel gewinnen. Die Insekten sind in wenigen Tagen „schlachtreif“. Erste Betriebe hätten dies bereits erfolgreich umgesetzt. Die AGRAVIS forscht zu dem Thema und berät landwirtschaftliche Betriebe beim Aufbau der Insektenmast.
Marktgetriebener Logistiker
Zum Abschluss des ersten Tages gab Michael Krone, Vorstandsmitglied VIEROL mit Sitz in Oldenburg, interessante Einblicke in die Logistikabläufe des international tätigen Automobilzulieferers. Der Markt erfordere eine immer schnellere Reaktionszeit. Die Ware müsse jederzeit verfügbar sein und immer schneller zum Kunden kommen. Diese marktgetriebene Herausforderung treibe die Veränderungen in der Branche an und erfordere eine konsequente Weiterentwicklung der Prozesse.
Personalarbeit ganzheitlich aufstellen
Unsere Personalberaterin Jeanette Wittmann erläuterte die Erfolgsfaktoren im Wettbewerb um Arbeitskräfte. Dabei stand das interaktive Format World Café – eine kreative Workshopmethode - im Mittelpunkt. Erfolgreiche Personalarbeit ist für Jeanette Wittmann aber nicht nur die Arbeit einer einzelnen Abteilung, sondern sollte durch das ganze Unternehmen gehen. Es gelte, die Personalarbeit breit aufzustellen und eng mit den Führungsebenen zu verzahnen. Im Wettbewerb um Arbeitskräfte ist eine starke Arbeitgebermarke zudem wichtig. Wie man diese aufbauen kann, erläuterte Julia Heisler von den Social-Media-Agentur Die Digitalstrategen aus Oldenburg.
Verpflichtend: E-Rechnungen
Uwe Pietzonka, Leiter unserer Abteilung Steuerberatung, erläuterte die Änderungen des Jahressteuergesetztes sowie die Einführung der E-Rechnung, die seit diesem Jahr für Unternehmen verpflichtend ist. Diese Pflicht beschränkt sich noch auf den Empfang und die revisionssichere Archivierung. Für die Ausstellung gelten noch Übergangsfristen. Ab 2028 sind E-Rechnungen für Unternehmen dann allerdings verpflichtend.
Weniger Bürokratie
Der Abteilungsleiter unserer Rechtsberatung, Dr. Joosten Juncker, betonte, dass die jüngste Änderung des Bürokratieentlastungsgesetzes mit Blick auf das Genossenschaftsgesetz grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Die Abkehr von der strengen Schriftform hin zu Textform erleichtere beispielsweise die Aufnahme von Mitgliedern. Allerdings müsse auch eine entsprechende Satzungsänderung von der jeweiligen Genossenschaft vorgenommen werden. Eine Anpassung der Mustersatzung sei in Vorbereitung. Der Gesetzentwurf zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform sei ebenfalls begrüßenswert. Allerdings gebe es noch Anpassungsbedarf. Insbesondere das vorgesehene Weisungsrecht der Generalversammlung gegenüber dem Vorstand sei wenig zielführend.